RE

THINKING

CAPITALISM

Eine Newsletter-Serie von Felix Rohrbeck

Liebe Leser*innen,

wenn Staaten international vereinbarte Klimaziele verfehlen, passiert in der Regel: nichts. Es gibt bisher keine verlässlichen Maßnahmen, die die Weltgemeinschaft oder einzelne Bürger*innen einfordern könnten, um die Umsetzung durchzusetzen. Braucht es also einen internationalen Umweltgerichtshof, der von Staaten verlangen könnte, ihre Versprechen auch einzuhalten? Das ist nur eine der Fragen, mit denen sich derzeit am THE NEW INSTITUTE eine Gruppe um die Juristin Maja Groff beschäftigt. Sie leitet das Programm „Planetary Governance“ und beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, welche internationalen Gesetze, Verträge und Institutionen nötig sind, um eine globale Krise wie die des Klimas besser in den Griff zu bekommen. Nun arbeitet sie am THE NEW INSTITUTE daran, einige davon in die Realität umzusetzen.

Ich selbst bin Wirtschaftsjournalist und derzeit Media Fellow am THE NEW INSTITUTE. Das Jahresthema lautet: „Re-thinking Capitalism“. In einer kleinen Serie von Newslettern versuche ich über einige der Ideen und Projekte so konkret und verständlich wie möglich zu berichten. Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!

Felix Rohrbeck


Braucht es einen internationalen Umweltgerichtshof?

Seit Jahren schon beschäftigt sich die Juristin Maja Groff mit der Frage, welche internationalen Gesetze und Institutionen notwendig sind, um eine globale Krise wie die des Klimas in den Griff zu bekommen. Als Program Chair am THE NEW INSTITUTE arbeitet sie nun daran, einige davon in die Realität umzusetzen.

1. Was ist das Problem?

Als sich 2015 in Paris fast 200 Staaten darauf einigten, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, war der Jubel groß. Politiker*innen umarmten sich auf den Gängen, Menschen in aller Welt schöpften Hoffnung, dass sich die Klimakrise vielleicht doch noch lösen ließe. Im Kampf gegen die Erderwärmung habe sich „zum ersten Mal die gesamte Weltgemeinschaft zum Handeln verpflichtet“, erklärte die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel feierlich.

Acht Jahre später sorgte die erste globale Bestandsaufnahme des Pariser Abkommens für große Ernüchterung. Im September 2023 kamen die Vereinten Nationen zu dem Schluss, dass die Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen nicht im Einklang mit dem Pariser Abkommen steht. Kaum ein Land war auf Kurs, die  Klimaziele zu erreichen. Viele Staaten haben zudem die Frist verstreichen lassen, neue Klimapläne einzureichen.

Für Maja Groff, Leiterin des „Planetary Governance“ Programms am THE NEW INSTITUTE, zeigt das Beispiel, was die internationale Gemeinschaft dringend braucht, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen und die planetaren Grenzen nicht weiter zu sprengen: Mehr verlässliche internationale Gesetze und Institutionen, die dafür sorgen, dass es nicht bei großen Versprechungen bleibt, sondern diese auch umgesetzt werden.

„Die Probleme sind grundsätzlich lösbar“, sagt Groff. „Weil es aber globale Probleme sind, braucht es dafür auch globale Governance-Strukturen. Diese sind bisher nicht ausreichend vorhanden.“

Foto von Maxi Glas 

2. Was ist der Ansatz?

Als Juristin arbeitet Maja Groff schon lange daran, die Welt durch internationales Recht zu einem besseren Ort zu machen. Sie war an der Ausarbeitung internationaler Verträge und mehreren Strafgerichtshofen beteiligt. Ein Beispiel ist das Jugoslawien-Tribunal. Vor dem von den Vereinten Nationen eingesetzten Ad-hoc-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien mussten sich mehr als 100 Kriegsverbrecher für ihre Taten verantworten. Das Tribunal gilt als Vorläufer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, der seit 2002 besonders schwere Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit grenzüberschreitend verfolgt. Es steht für den Anspruch einer Weltordnung, in der nicht Willkür und Gewalt, sondern Recht und Gesetz die Beziehungen bestimmen.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag war ein wichtiger Schritt der Staaten, einen Teil ihrer Macht an internationale Organisationen abzugeben. Doch insgesamt stammen die Strukturen der internationalen Zusammenarbeit noch weitgehend aus der Nachkriegszeit – und sind darauf ausgerichtet, globale und drängende Probleme wie den Klimawandel oder den Verlust der Artenvielfalt wirksam zu bekämpfen.

Wie also könnte eine Global Governance für das 21. Jahrhundert aussehen, die den katastrophalen und globalen Risiken von heute gerecht wird?

Diese Frage stellt die schwedische Global Challenge Foundation 2016 in einem weltweiten Wettbewerb. Das Interesse ist riesig. Mehr als 2.700 Bewerbungen aus über 120 Ländern gehen bei der Stiftung ein. Auch Maja Groff hat sich zusammen mit zwei Kollegen beworben. Gemeinsam wollen sie die Blaupause für ein reformiertes UN-System entwerfen. Das Team gehört zu den drei Gewinnern und erhält 2018 ein Preisgeld von 600.000 Euro.  Aus der Arbeit am Projekt geht 2020 das Buch „Global Governance and the Emergence of Global Institutions for the 21st Century“ hervor, das bei Cambridge University Press erscheint.

Doch dabei soll es nicht bleiben. Bereits 2019 ruft Groff die  Climate Governance Commission ins Leben, der später hochkarätige Persönlichkeiten beitreten wie Mary Robinson, die frühere Staatspräsidentin Irlands, und Johan Rockström, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Gemeinsam wollen die Kommissionsmitglieder konkrete Vorschläge machen, welche internationalen Governance-Innovationen nötig sind, um die Klimakrise, das Artensterben und die Umweltverschmutzung in den Griff zu bekommen. Dazu hat die Kommission zuletzt in 2023 einen Report mit zehn kurz- und fünf mittelfristigen Maßnahmenpaketen vorgelegt: von der Ausrufung eines planetaren Notstands durch die UN-Generalversammlung über die Stärkung bestehender Institutionen bis hin zur Einrichtung eines internationalen Umweltgerichtshofs.

Die Kommission will aber nicht nur gute Vorschläge machen, sondern auch dafür sorgen, dass diese tatsächlich umgesetzt werden. „Das ist natürlich eine Herausforderung“, sagt Groff. Das multilaterale System sei anfällig für politische Blockaden und traditionellen diplomatischen Methoden mangele es oft an Agilität und dem Anspruch, ehrgeizige Ziele zu verfolgen.

Aus der Geschichte könne man aber lernen, so Groff, wie es trotzdem immer wieder funktioniert habe. Als Beispiele nennt sie den Internationalen Strafgerichtshof und den 2017 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag. In beiden Fällen seien die Impulse nicht nur aus dem System selbst, sondern auch von außen gekommen, also aus der Zivilgesellschaft. „Es sind oft Outsider mit guten Ideen, die die konzeptuelle Vorarbeit leisten und für ihr Anliegen trommeln“, sagt Groff. Ein entscheidender Erfolgsfaktor seien sogenannte „smart coalitions“, also Bündnisse aus NGOs, Regierungen, Städten, Think Tanks und Wirtschaftsinitiativen, die gemeinsam mobilisieren, Druck machen und sich für die Umsetzung wichtiger Initiativen einsetzen.

Der Ansatz von Groff und der Climate Governance Commission lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Gut durchdachte Vorschläge für eine „Planetary Governance“ machen, die dann durch „smart coalitions“ zu echtem Wandel führen.

3. Was ist das Projekt am Institut?

Am THE NEW INSTITUTE arbeitet Maja Groff daran, ausgewählte Maßnahmen aus dem Bericht der Kommission zu konkretisieren und umzusetzen. „In dieser Phase geht es darum, unsere Vorschläge in die Realität zu überführen“, sagt Groff. Das sei eine mühsame, oft kleinteilige Arbeit. Verschiedene Organisationen und Expert*innen müssten auch aus strategischen Gründen einbezogen werden. Schon um die ersten Entwürfe werde hart gerungen. „Es ist aber eine notwendige Arbeit, damit ein Vorschlag am Ende wirklich Aussicht auf Erfolg hat“, so Maja Groff.

Konkret arbeitet Groff mit ihrem Team unter anderem an folgenden Maßnahmen:

Ausrufen des planetarischen Notstands durch die UN-Generalversammlung: Zwar gibt es bereits Länder, Städte und Institutionen, die angesichts der Klimakrise und der Überschreitung der planetaren Grenzen den Notstand ausgerufen haben. Doch auf internationaler Ebene ist dies bislang nicht geschehen. „Dabei wäre es ein relativ schnell umsetzbarer erster Schritt, um die Dringlichkeit der Krise anzuerkennen und auf dieser Basis mehr internationale Zusammenarbeit einzuleiten“, sagt Groff. Während der Zeit am THE NEW INSTITUTE soll der inhaltliche Entwurf für eine solche UN-Erklärung deshalb weiterentwickelt werden.

Die Einrichtung eines Internationalen Umweltgerichtshofs: Ähnlich wie der Internationale Strafgerichtshof für schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig ist, könnte ein Internationaler Umweltgerichtshof für Klima- und Umweltkonflikte zuständig sein und zum Beispiel Staaten zur Einhaltung ihrer Versprechen zwingen. Aber was genau wären seine Befugnisse? Welche Fälle würden dort verhandelt? Wie würde er finanziert? „Bisher wurden die Ideen eines internationalen Umweltgerichtshofs meist abstrakt diskutiert“, sagt Groff. „Wir arbeiten daran, einen Prozess zu etablieren, um einen belastbaren und konkreten Vorschlag zu entwickeln.“ Groff kann dabei auf ihre Erfahrungen bei der Erarbeitung eines Mustervertrags für einen Internationalen Anti-Korruptionsgerichthof zurückgreifen, der mittlerweile die Unterstützung vieler Länder und Organisationen findet und in Teilen auch am NEW INSTITUTE entworfen wurde. Ein ähnlicher Prozess ist nun für den Internationalen Umweltgerichtshof geplant.

Foto von Maxi Glas 

Der Aufbau einer Earth Governance Alliance: Aus der Idee, dass es „smarte Koalitionen“ braucht, um die Strukturen einer „Planetary Governance“ durchzusetzen, ist die „Mobilizing an Earth Governance Alliance“ (MEGA) hervorgegangen. Auf der Online-Plattform können Kampagnen gestartet und Koalitionen zivilgesellschaftlicher Organisationen geschmiedet werden.

Für den Erfolg ihrer Arbeit, so Groff, brauche es ganz unterschiedliche Zutaten: finanzielle Ressourcen, kritisches Feedback und einen Ort, an dem man Expert*innen, NGOs, Think Tanks und Regierungsvertreter*innen auch mal persönlich zusammenbringen kann, um Koalitionen zu bilden und zu vertiefen. Zu diesem Zweck fanden bereits mehrere Treffen im THE NEW INSTITUTE mit Wissenschaftler*innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Jurist*innen statt, zuletzt im April dieses Jahres. In mehreren Workshops wurden die Projekte diskutiert, weiterentwickelt und vorangetrieben. „Das Institut wirkt wie ein Katalysator für unsere Arbeit“, sagt Groff.

4. Und was bedeutet das für den Kapitalismus?

Für Groff ist es relativ einfach: Es braucht Gesetze und starke Institutionen, damit unsere heutigen Wirtschaftssysteme nicht noch größeren Schaden anrichten. Dieser Gedanke ist nicht neu. Schon Adam Smith, der als Begründer der Nationalökonomie gilt, hat das so gesehen. Allerdings war für ihn, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, allein der Nationalstaat für diesen Ordnungsrahmen zuständig. In Zeiten einer globalen Klima- und Umweltkrise reiche das aber nicht mehr aus, so Groff. Wir brauchen einen soliden globalen Ordnungsrahmen, um zu verhindern, dass die gegenwärtigen Formen des Kapitalismus unsere Lebensgrundlagen zerstören.

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