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INTERVIEW

Wir müssen anders planen, bauen und wohnen

Um das Klima zu schützen, brauchen wir andere Gewohnheiten und neue Technik, sagt die Ökonomin Monika Schnitzer. Können wir die Klimakrise durch Erfindungen lösen?

Porträt von Monika Schnitzer

Monika Schnitzer ist Professorin für komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Schwerpunkt ihrer Forschung und Lehre liegt in den Bereichen der Wettbewerbspolitik, der Innovationsökonomik und der multinationalen Unternehmen. 2020 wurde sie in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen.

Dieses Interview erschien am 5. Juni 2021 auf ZEIT ONLINE. Das Interview führte die Journalistin Petra Pinzler im Rahmen eines Fellowships am THE NEW INSTITUTE.

Frau Schnitzer, werden wir die Klimakrise durch Innovationen in den Griff bekommen?

Ja.

Klare Antwort. Nun ist aber längst nicht jede Innovation gut fürs Klima. Ich muss nur „Flugzeug“ sagen.

Natürlich gibt es nützliche und schädliche Innovationen. Das Problem ist, dass man das vorher oft nicht weiß, bzw. mögliche schädliche Nebenwirkungen nicht gut genug einschätzen kann. Nehmen wir medizinische Entdeckungen. Da gibt es einige, bei denen die Forscher*innen nicht ahnten, welche Schäden sie verursachen würden. Das Beruhigungsmittel Contergan hat beispielsweise Embryonen geschädigt, wenn die Mütter es während der Schwangerschaft eingenommen haben. Die Erfinder*innen wollten aber bestimmt keine Kinder gefährden. Und auch die Erfinder*innen des Flugzeugs hatten sicher nicht im Sinn, die Klimakrise zu beschleunigen.

Trotzdem passiert genau das, immer wieder.

Aber nicht die Erfindung an sich ist das Problem. Es kommt darauf an, was man damit macht. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Ammoniaksynthese. Am Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatte man die Sorge, die Bevölkerung könne nicht mehr wachsen, weil der natürliche Dünger nicht ausreichen würde, um genügend Lebensmittel zu produzieren. Dann entdeckte Fritz Haber, wie im Labor Ammoniak hergestellt werden kann, Grundstoff für Kunstdünger. Dadurch konnten die Erträge in der Landwirtschaft enorm gesteigert und mehr Menschen ernährt werden. Aber man kann Ammoniak auch für die Produktion von Sprengstoff nutzen, und das hat man im Ersten Weltkrieg auch gemacht. Oft weiß man eben vorher nicht, wofür sich eine Erfindung nutzen lässt und ob die Menschen sie für einen guten oder schlechten Zweck einsetzen werden. Das heißt aber nicht, dass man deshalb das Erfinden einstellen sollte.

Es kann meist nur erfunden werden, was Menschen überhaupt für denkbar halten. Also muss es vorher gedacht werden. Sollte ein Staat in Zeiten der Umweltkrise versuchen, das Denken stärker zu lenken – damit weniger Unsinn erfunden wird und mehr Dinge, die bei wirklichen Problemen helfen? Also vielleicht weniger Computerspiele und dafür mehr Lösungen für die Klimakrise?

Ob der Staat klare Missionen vorgeben sollte, wie in den USA einst mit der Mondlandung, wird immer wieder neu diskutiert. Wenn der Staat viel Geld für die Forschungsförderung ausgibt, dann ist es auch sinnvoll, dieses Geld in Bereiche zu lenken, die für die Gesellschaft gerade besonders wichtig sind, wie beispielsweise aktuell die Entwicklung von Impfstoffen oder die Bekämpfung des Klimawandels. Aber es ist eben nicht automatisch so, dass damit die besten Ergebnisse entstehen. Deshalb ist es wichtig, auch Projekte zu fördern, die nicht in ein solches Schema passen, bei denen nicht gleich klar ist, wofür sie nützlich sein werden. Forschende haben nicht immer eine klare Mission vor Augen, sondern wollen vor allem Dinge herausfinden. Der Physiker Richard Feynman hat das in seinem Buch The Pleasure of Finding Things Out beschrieben. Manchmal entstehen wichtige Entdeckungen als Abfallprodukt einer anderen Forschung. Manche Innovationen sind entstanden, weil man die Menschen unterhalten wollte.

Wenn der Staat viel Geld für die Forschungsförderung ausgibt, dann ist es auch sinnvoll, dieses Geld in Bereiche zu lenken, die für die Gesellschaft gerade besonders wichtig sind.

Innovation, um die Langeweile zu vertreiben?

Ja, etwas zu erfinden, um die Menschen zu unterhalten, war tatsächlich schon immer eine wichtige Triebfeder für das Neue, das beschreibt Steven Johnson sehr anschaulich in seinem Buch Wonderland. Man muss sich nur die technologischen Entwicklungen im Bereich Computerspiele anschauen, dann sieht man, dass das auch heute noch eine wichtige Rolle spielt. Die hochleistungsfähigen Grafikprozessoren, die für Computerspiele entwickelt wurden, werden jetzt für die Entwicklung künstlicher Intelligenz genutzt.

Die meisten Innovationen aber entstehen doch heute eher in großen Instituten oder Unternehmen, da forschen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam und über eine lange Zeit. Könnte denen die Regierung denn nicht klarer sagen: Hallo, wir steuern auf eine Klimakrise zu!

Erst mal müsste man die Forschung im Bereich des Klimaschutzes finanziell viel stärker fördern, damit wäre schon viel gewonnen. Und wir brauchen einen höheren CO2 Preis, damit die Unternehmen noch einen weiteren Grund haben, mehr klimaneutrale Ideen und Produkte zu entwickeln.

Wenn wir an das Neue denken, dann geht es oft um neue Technik – und selten um neue Gewohnheiten. Dabei könnte durch die doch auch viel Umwelt geschützt werden, beispielsweise beim Wohnen. Da werden zwar die Häuser immer moderner, wärmegedämmt und klimafreundlicher. Zugleich verbrauchen wir aber viel zu viel Platz für neue Häuser, weil offensichtlich jeder Mensch immer mehr Quadratmeter braucht. Wenn sich das nicht ändert, werden wir doch weder die Wohnungsnot noch die Klimakrise in den Griff bekommen.

Da brauchen wir in der Tat neue Konzepte. Die Art, wie in den vergangenen Jahrzehnten gebaut worden ist, war nicht gerade förderlich – weder für das Klima, noch für die Sozialstruktur. Viele würden sich wünschen, dass mehrere Generationen leichter zusammen wohnen können – und zwar nicht unbedingt nur Menschen aus einer Familie. Eltern würden Hilfe für die Kinderbetreuung finden und Senioren nicht vereinsamen. Es gibt innovative Konzepte, um durch eine Verdichtung die Natur zu schonen und gleichzeitig die Gemeinschaft zu stärken, mit attraktiven öffentlichen Räumen zur Begegnung, wie beispielsweise italienische Piazzas und öffentliche Parks – eine wichtige Alternative zum Bau immer mehr weitläufiger Vorstadtsiedlungen.

Wir bräuchten vor allem mehr interdisziplinäre Forschung in diverseren Teams, die die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse besser widerspiegeln.

Wachstum hieße dann nicht automatisch mehr Ressourcenverbrauch, sondern vor allem mehr Lebensqualität – nicht einfach mehr Dinge, die wir konsumieren.

Um herauszufinden, ob die Menschen das wollen, bräuchten wir viel mehr Forschung darüber, was sozialer Fortschritt wäre, oder?

Wir bräuchten vor allem mehr interdisziplinäre Forschung in diverseren Teams, die die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse besser widerspiegeln. Dann würde anders geplant, gebaut und gewohnt. Warum denn waren die Küchen lange so klein und abgelegen vom Rest der Wohnung, sodass beim Kochen die Kinder nicht betreut werden konnten? Ich denke, weil da zu wenige Frauen mit geforscht und geplant haben.

Frauen fahren auch seltener dicke Autos als Männer, nutzen mehr den Bus und wünschen sich mehr Sicherheit im Verkehr. Mehr Verkehrsforscherinnen könnten wahrscheinlich auch unser Wissen über die Mobilität verändern – einfach weil sie andere Fragen stellen. Trotzdem höre ich, wenn es um die Veränderung der Gegenwart geht, oft als Gegenargument: Die Leute wollen so wohnen, sie mieten schließlich die Wohnungen, die der Markt ihnen anbietet. Sie wollen große Autos fahren, sonst würden die nicht angeboten.

Ich würde infrage stellen, dass Unternehmen wirklich immer das anbieten, was die Menschen wollen. Denn es gibt doch ganz offensichtlich viele Angebote nicht, für die es eine Nachfrage gäbe. Natürlich kaufen die Menschen Autos. Aber was können Menschen in entlegenen Gegenden denn anderes machen, als sich ein eigenes Auto zu kaufen? Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wo um elf Uhr abends der letzte Bus fuhr. Ich weiß also, wovon ich rede. Wenn es da keine Alternativen gibt – nicht unbedingt einen Bus, aber vielleicht ein erschwingliches Minitaxi –, dann wird sich am Individualverkehr nicht viel ändern. Wir brauchen also interessante Alternativen.

Für Unternehmen rechnet sich das offensichtlich nicht. Sollte der Staat selbst viel mehr erforschen und erproben als in der Vergangenheit?

Gerade beim Verkehr gäbe es viele Bereiche, in denen Staat und Unternehmen gemeinsam mehr experimentieren müssten und in denen man Startups eine Chance geben könnte, innovative Konzepte zu entwickeln. Ein wichtiges Instrument dafür sind Reallabore. Das sind Testräume, in denen Unternehmen etwas Neues ausprobieren können, was mit dem bestehenden Regulierungsrahmen nur bedingt vereinbar ist. In solchen Reallaboren kann man etwas über die Chancen und Risiken einer Innovation lernen und dann die rechtlichen Rahmenbedingungen adäquat anpassen. Im Rahmen eines solchen Reallabors wird z.B. aktuell ein fahrerloser On-Demand-Shuttlebus erprobt, der Menschen in ländlichen Regionen die Möglichkeit geben soll, auf Bestellung und ohne lange Wartezeit mit dem Bus in die Stadt zu gelangen.

Was halten sie davon, dass die Regierung viel stärker durch strenge Regeln und Gesetze für Innovationen sorgt? In den siebziger Jahren hat die Bundesregierung strenge Abgasregeln für Fabriken verabschiedet, das hat damals zu neuen Filtertechniken und so zu besserer Luft geführt. Sollten kluge Regierungen das heute weitertreiben – Innovation durch Regulierung?

Ja, natürlich ist der Staat gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Dass beispielsweise moderne Autos heute weniger Benzin verbrauchen als früher, liegt an staatlichen Vorgaben. Ohne die wäre da wenig passiert. Der Staat ist immer dann gefordert, wenn der Marktpreis für ein Produkt die Kosten, die dadurch anderen entstehen, nicht beinhaltet. D.h., wenn ein Produkt das Klima schädigt, muss das im Preis berücksichtigt werden, damit die Menschen einen Anreiz haben, ihr Verhalten anzupassen. Das wirkt sich dann auch auf die Unternehmen aus. Die werden erst dann auf Innovationen für den Klimaschutz setzen, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen einen spürbaren Preis hat. Für den muss der Staat sorgen. Die Bundesregierung setzt die CO2-Preise im Bereich Gebäude und Verkehr momentan mit 25 Euro pro Tonne an. Das ist noch viel zu niedrig.

Sie haben sich zu Beginn des Gesprächs sehr klar positioniert und gesagt, wir bekommen die Klimakrise mithilfe von Innovationen in den Griff. Was würden Sie als Forschungsministerin tun, damit das auch klappt – und wir es bald schaffen, beim Wirtschaften die planetaren Grenzen zu beachten?

Ich würde erstens viel mehr Geld für Bildung ausgeben – und zwar so, dass die Ausbildung von Kindern nicht mehr so stark vom sozialen Hintergrund abhängt, wie das aktuell der Fall ist. Wenn wir alle Kinder besser ausbilden würden, dann hätten wir ein viel größeres Reservoir möglicher Forscherinnen und Erfinder. Und damit mehr Ideen. Wir brauchen in diesem Land viel mehr Diversität, damit ganz neue Dinge in Angriff genommen werden, an die die immer gleichen homogenen Gruppen bisher nicht gedacht haben. Zweitens würde ich die Forschung stärken, um bei der Batterie- und Brennstoffzellforschung schneller Fortschritte zu machen. Und ich würde, drittens, Geld dafür ausgeben, um herauszufinden, wie die Produkte, die wir einsetzen, vom Auto bis zur Waschmaschine, intelligenter und damit ressourcenschonender genutzt werden können.

Und was macht das dann mit dem Wirtschaftswachstum?

Wachstum hieße dann nicht automatisch mehr Ressourcenverbrauch, sondern vor allem mehr Lebensqualität – nicht einfach mehr Dinge, die wir konsumieren, sondern vielleicht bessere Wohn- und Mobilitätskonzepte, bessere medizinische Versorgung, für manche vielleicht mehr gute Musik und viele neue Videos auf Instagram. Und der Fortschritt würde dann dafür sorgen, dass neue Dinge mit weniger Ressourcen entstehen.

Wie könnte es also in der Zukunft anders sein?

Weiterdenken für nachhaltige Zukunftsgestaltung

Wenn Wachstum mehr Lebensqualität bedeuten soll:

Wie würden wir Wachstum dann messen und was verändert sich damit in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung?

Wenn wir in diesem Land viel mehr Diversität und Innovation brauchen, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen:

Welche Art der Bildung und Forschung und welche Kollaborationen sollten wie gestärkt werden?

Wenn Verbraucher*innen nur begrenzten Einfluss auf die Angebotsseite haben:

Welche staatlichen Voraussetzungen sorgen dann dafür, dass sich die Freiheiten für nachhaltigen Konsum erhöhen?

Diese und weitere Fragen wollen wir im Rahmen eines öffentlichen Symposiums am 31. August weiter diskutieren. Wenn Sie teilnehmen möchten oder Anregungen haben, senden Sie uns bitte eine E-Mail redefiningthepossible@thenew.institute