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INTERVIEW

Mehr Mut und weniger alte weiße Männer

Um die Klima-Krise zu bekämpfen, müssen Unternehmen weltweit radikal umdenken, fordert die Ökonomin Katrin Muff. Und was machen dann Konzerne wie Nestle und Coca-Cola?

Porträt von Katrin Muff

Katrin Muff ist eine international anerkannte Vordenkerin zu Transformation, Nachhaltigkeit und Verantwortung. Sie ist Direktorin des Institute for Business Sustainability in Luzern und hält eine Praxis-Professur an der LUISS Business School in Rom.

Dieses Interview erschien am 22. Mai 2021 auf ZEIT ONLINE. Das Interview führte die Journalistin Petra Pinzler im Rahmen eines Fellowships am THE NEW INSTITUTE.

Frau Muff, The business of business is business – hat der Nobelpreisträger Milton Friedman mal gesagt und damit gemeint, dass sich Unternehmen aufs Geldverdienen konzentrieren sollen. Was ist falsch an dem Satz?

Das ist einfach zu simpel gedacht: Die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft und die wiederum ein Teil des Planeten. Wenn wir den ruinieren, dann funktioniert weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft. Also müssen Unternehmen ihre Wirkung auf die Umwelt und die Gesellschaft mit im Blick haben.

Friedman glaubte an die Idee, dass alle Menschen egoistisch handeln, das aber in einer Marktwirtschaft trotzdem zu einem guten Ergebnis führt – weil der Markt die Wünsche aller koordiniert und das am Ende zur bestmöglichen Verteilung von Gütern führt. So ähnlich jedenfalls lernen das die meisten Ökonomie-Studierenden bis heute schon im ersten Semester.

In modernen Studiengängen lernen sie aber auch, dass auch das so einfach nicht stimmt. Die berühmte unsichtbare Hand des Marktes, die Angebot und Nachfrage so steuert, dass am Ende immer etwas Gutes herauskommt, funktioniert ja nicht. Es braucht Regeln, die der Staat bestimmt. Und es wird auch nicht alles gut, wenn in Unternehmen nur ans Geldverdienen gedacht wird.

Anscheinend überzeugt das auch immer mehr Leute in den Chefetagen. Kürzlich gelobten jedenfalls 180 Chefs namhafter US-Konzerne wie Amazon und Walmart in einem Statement of Corporate Purpose künftig auch ihrer Belegschaft, der Gesellschaft und der Umwelt nützen zu wollen – statt nur den Aktionär*innen. Wird die Wirtschaft gerade grün und gut?

Na ja, die Ankündigungen sind das eine, Handeln das andere. Natürlich ist es erst mal positiv, wenn Chefs versprechen, dass sie beim Wirtschaften mehr Rücksicht auf die Natur und auf die Menschen nehmen wollen. Aber das ist nur der erste Schritt. Als nächstes muss das ganze Unternehmen umdenken und umlernen.

Was muss da konkret passieren?

In Unternehmen, die sich so auf den Weg machen, verändern sich vier Dinge. Erstens, die interne Kultur, was sich nicht nur an neuen Kriterien für die Beförderung, sondern auch konkreten Unternehmenszielen zeigt. Klimaziele, zum Beispiel, müssen überprüfbar sein. Wenn ein Unternehmen verspricht, bis 2050 klimaneutral werden zu wollen, aber keine kurzfristigen Umsetzungspläne hat, dann geschieht nichts. So was ist, zweitens, nur gemeinsam mit anderen erreichbar. Und dazu muss ein Unternehmen sich als Teil der Gesellschaft sehen, statt nur sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um mehr.

Drittens braucht es einen zukunftsfähigen Aufsichtsrat, in dem darf nicht immer der gleiche Typ Mensch sitzen; diversere Aufsichtsräte bringen strategische Gesellschaftsthemen stärker auf den Tisch. Da wird dann in einer Aufsichtsratssitzung nicht mehr nur nach der Umsatzrendite und Risikominimierung gefragt, sondern auch nach neuen Geschäftsfeldern, die helfen, die Gesellschaft zu verbessern oder Umweltprobleme zu lösen. Dies ist der vierte Punkt: Wie zeigt sich das alles in neuen Dienstleistungen?

Die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft und die wiederum ein Teil des Planeten. Wenn wir den ruinieren, dann funktioniert weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft.

Wenn ich die Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen lese oder Begriffe wie Corporate Social Responsibility (CSR) höre, dann gruselt es mich häufig. Da stehen so viele schöne Worte und so wenig harte Fakten …

Tatsächlich schleichen sich viele Unternehmen noch mit schönen Worten in ihren Nachhaltigkeitsberichten weg. Dabei gibt es längst wissenschaftlich fundierte harte Fakten, die man messen kann: beispielsweise die Diversität des Managements oder den CO2-Ausstoß des Unternehmens. Und es gibt Verbände, die ihren Mitgliedern dabei helfen, solche Nachhaltigkeitskriterien strategisch anzuwenden. Dort lässt sich auch von Vorbildern lernen, von Unternehmen, die visionäre Versuche wagen und sich wirklich richtig ehrgeizige Ziele setzen – beispielsweise ein 2030 Netto-Null Ziel, für sich und die eigenen Kund*innen, was im Unternehmen vieles auf den Kopf stellt.

Müssen Unternehmen, die die Übernutzung der Natur wirklich ernst nehmen, nicht noch einen viel radikaleren Schritt gehen: Müssten sie nicht einfach eine Menge der Produkte aus ihren Katalogen streichen? Wer braucht in Zeiten der Klimakrise beispielsweise noch Privatjets oder in Zeiten der Wasserknappheit einen privaten Pool – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Diese Beispiele zeigen genau die Größe des Problems. Man kann ja nicht einfach sagen: Schließt doch besser euren Laden! Das wäre ein sehr kurzes Gespräch. Aber machen wir es konkret, nehmen wir Coca-Cola. Die Welt wäre wahrscheinlich ein gesünderer Ort, wenn es keine hart beworbenen zuckerhaltigen Süßgetränke gäbe …

... zumindest hätten wir dann viel weniger Kinder mit Zahnschäden oder Übergewicht …

Genau. Wenn sich das Unternehmen aber zum Ziel setzt, einen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, dann sollte es seine Kernkompetenzen klüger nutzen. Coca-Cola schafft es, ein perfekt gekühltes Süßgetränk bis ans Ende der Welt zu bringen. Das ist eine ungeheure logistische Leistung. Wer schafft das sonst schon? Könnte man diese Kompetenz nicht auch dafür nutzen, mit Nährstoffen und Vitaminen angereicherte Nahrungsmittel in genau diese Enden der Welt zu bringen? Das ist jetzt nur eine Idee und soll zeigen, welche Fragen sich Unternehmen stellen, die eine positive Wirkung haben wollen. Es geht nicht nur darum, den negativen Fußabdruck des aktuellen Geschäftes zu vermindern, sondern auch neue sinnvolle Geschäftsfelder zu entdecken und zu entwickeln. Wie der US-Ökonom Peter Drucker schon sagte: «jedes ungelöste gesellschaftliche Problem ist eigentlich nichts anderes als eine große unentdeckte Marktchance.»

Gibt es für solch einen Umbau auch Argumente, die den altmodischen Kriterien standhalten? Es heißt, nachhaltige Unternehmen seien langfristig auch ökonomisch stärker als andere …

Ja, und nicht nur das. Nachhaltigkeit ist auch wichtig, um gute Leute zu bekommen. Junge Leute finden es heute viel wichtiger als in der Vergangenheit, was und wie ihr Arbeitgeber im Markt anbietet. Sie bestimmen zunehmend, was verlangt wird. Bereits heute buhlen in einigen Industrieländern immer mehr Unternehmen um die besten hochqualifizierten Talente. Die wollen für inspirierende Unternehmen arbeiten, die wollen etwas Sinnvolles tun. Auch im Unternehmen motiviert ein Sinn jenseits der Rendite alle diejenigen, denen es nicht nur ums Geld geht.

Es geht nicht nur darum, den negativen Fußabdruck des aktuellen Geschäftes zu vermindern, sondern auch neue sinnvolle Geschäftsfelder zu entdecken und zu entwickeln.

Regierungen müssen sich schon fragen, was gut für ihre Gesellschaft und die Umwelt ist. Und dann müssen sie das auch in verbindlichen Regeln festschreiben.

Können Sie das belegen?

Ich habe erst vor ein paar Tagen mit dem Chef eines großen internationalen Konzerns gesprochen und der hat mir gesagt, dass Klimaschutz und ein inspirierender Purpose bei der Mitarbeiterwerbung einen noch viel höheren Stellenwert als noch vor 10 Jahren haben. Es gibt auch eine Studie der Young Presidents Organization, in welcher CEOs nach der Bedeutung von Nachhaltigkeit gefragt werden – und die zeigt, wie sehr sich auch bei denen die Stimmung in den vergangenen fünf Jahren verändert hat: 93 Prozent finden, dass ein Unternehmen einem gesellschaftlichen Zweck dienen muss, was dem neuen Verständnis von Nachhaltigkeit entspricht und wo auch das Klimaproblem dazugehört. Und dies aus drei Gründen: erstens wegen Druck von Mitarbeiter*innen, zweitens wegen Druck der eigenen Kinder und drittens wegen Druck der Kund*innen.

Ist das Klima jetzt so wichtig, weil alle jetzt darüber reden? Oder erleben wir da wirklich einen grundsätzlichen Wandel, eine Moralisierung der Märkte, setzt sich da die Idee der planetaren Grenzen durch – also die Idee, dass wir die Erde in vielfacher Hinsicht überlasten und daran etwas ändern müssen?

Immer mehr Leute, egal an welcher Stelle im Unternehmen, wollen etwas Sinnvolles tun. Dies hat oft mit Nachhaltigkeit zu tun und kann das Klima betreffen, die Umwelt oder die Biodiversität. Es kann aber auch die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft oder andere soziale Themen betreffen.

Welche Rolle spielen dabei die Finanzmärkte? Vor allem bei Aktiengesellschaften heißt es immer wieder, dass die gar nicht anders können, als den Gewinn zu maximieren. Würden sie sich anders verhalten, würden die Aktionär*innen die Vorstände und Aufsichtsräte davonjagen.

Da habe ich gute Nachrichten. Was da im vergangenen Jahr passiert ist und in diesem Jahr auch noch passieren wird, wird die Welt verändern. Die Verwalter der großen Fonds haben begriffen, dass man mit Nachhaltigkeit Geld verdienen kann und dass die Renditen bei nachhaltigen Unternehmen langfristig gut und sicher sind. Schweizer Großbanken wie die UBS oder auch die Black Rock, der weltweit größte Investor, verändern ihre Kriterien für Investitionen gerade stark, nicht nur wegen den Vermögenstransfers an die nächste Generation, die einfach andere Prioritäten hat und das Geld bewusst anlegen will. Jedenfalls ist der Zuwachs bei sogenannten nachhaltigen Geldanlagen und beim Impact Investment rasant.

Impact Investment bedeutet ...

… dass Menschen ihr Geld dort investieren, wo es etwas bewegt und zwar nicht philanthropisch sondern als profitables Geschäftsmodell mit gutem Zweck.

Reden Sie sich die Welt da nicht schön und ist die Realität nicht doch noch eine andere? Kürzlich hat RWE, das große deutsche Energieunternehmen, die niederländische Regierung vor einem Schiedsgericht auf Schadensersatz verklagt – weil die Niederlande schnell aus der Kohleverstromung aussteigen wollen. Gleichzeitig wirbt RWE in großen Anzeigen, dass das Unternehmen künftig ganz grün werden will. Das passt doch nicht. Das Argument für diese Art von Klagen ist dann immer: Wir müssen das tun, sonst werden wir von den Aktionär*innen verklagt.

Einerseits fordern gewisse Investor*innen nun was anderes. Auf der Aktionärsversammlung von Unilever wurde dem Unternehmen vor Kurzem der Auftrag gegeben, die Klimastrategie ins Zentrum der Unternehmensstrategie zu stellen. Es spielen jedoch tatsächlich die Aufsichtsräte häufig noch eine hinderliche Rolle. Den Aufsichtsräten geht es zu oft nur um die eigene Risikominimierung, die wollen nicht von den Aktionär*innen verklagt werden und haben eine zu kurzfristige Perspektive. Da wünsche ich mir mehr Mut und weniger weiße alte Männer. Denn schon wenn Sie die Gremien anders zusammensetzen, würde das viel verändern.

Das klingt verblüffend einfach. Eine andere Personalpolitik in den Chefetagen und damit dort eine andere Sicht auf die Welt – und alles wird gut?

Wir sind im Moment tatsächlich in der glücklichen Lage, dass Unternehmen von allen Seiten Druck bekommen. Und für ein solches Umdenken bringen jüngere, weiblichere und insgesamt diverse Chefetagen und Aufsichtsräte den nötigen frischen Wind und Weitblick.

Wäre das leichter, wenn wir strengere staatliche Regeln hätten, die von allen Unternehmen verlangen, dauerhaft und nachprüfbar anders mit der Umwelt umzugehen?

Ja, das wäre sicherlich hilfreich. Regierungen müssen sich schon fragen, was gut für ihre Gesellschaft und die Umwelt ist. Und dann müssen sie das auch in verbindlichen Regeln festschreiben. Der New Green Deal der EU setzt ein hervorragendes Zeichen, der einen schonenderen Umgang mit der Umwelt für die Wirtschaft verbindlich machen will. Diese signalisieren der zögerlichen Wirtschaft: Euer Sandkasten wird gerade verschoben. Und unterschätzen Sie dann die Unternehmer*innen nicht. Die sind sehr innovativ, wenn es darum geht, ihr Spielzeug dann auch zu verschieben.

Es kursieren im Moment viele Ideen für andere Unternehmensformen. Da gibt es Social Entrepreneurship, in den USA die B-Corps, in Deutschland die Bewegung der purpose economy. Bei allen geht es im Kern darum, dass schon in den Statuten des Unternehmens nicht nur die Gewinnmaximierung steht, sondern auch andere sinnvolle Ziele. Für wie wirkmächtig halten Sie die?

Die stoßen auf jeden Fall etwas an. Und sie knüpfen im Grunde an eine alte Idee von Unternehmertum an. Nehmen Sie beispielsweise den Gründungsgedanken von Unilever oder Nestle. Die wurden gegründet, weil sie ein gesellschaftliches Problem lösen wollten. Bei Nestle ging es darum, die Kindersterblichkeit zu senken, Unilever wollte die Hygienestandards in England verbessern.

Ich kenne Nestle vor allem, weil es immer wieder für die Privatisierung von Wasser kritisiert worden ist – und dafür, dass es viele Tonnen unnötiger Plastikflaschen produziert. Also nicht gerade als Modell.

Stimmt, da müsste wohl einiges passieren, damit der Ursprungsgedanke wieder stärker in den Fokus kommt. Unsere Forschung zeigt, dazu braucht es eine*n CEO mit entsprechenden Zukunftskompetenzen und ein Unternehmen, welches ko-kreativ mit anderen Akteur*innen arbeiten kann.

Kennen Sie eigentlich ein Unternehmen, bei dem alles stimmt – das gute Produkte hat, gutes Geld verdient, gut für die Umwelt ist und für die Gesellschaft? Oder ist das die Quadratur des Kreises?

Wir nennen solche Unternehmen „Positive Impact Organisationen“. Es gibt alternative Banken, die ihr Geld nachhaltig und nach ethischen Kriterien anlegen. In der Schweiz gibt es Choba-Choba, welches die Kakaobauern am Unternehmen beteiligt. Und die SV-Gruppe, ein Catering-Unternehmen, das seinen Klimaimpact dank einer Umschulung der Chefköche massiv reduzieren konnte, mit gleichem Profit. Oder es gibt Climeworks, ein Zürcher Unternehmen das CO2 aus der Luft holt und nicht nur bindet, sondern auch Mineralwasser-Herstellern weiterverkauft. Wir sammeln einerseits Beispiele solcher Unternehmen um zu inspirieren (Kurzvideos hier auf Sustainability-Today.com) und helfen Unternehmen andererseits beim Entdecken solcher neuer Geschäftschancen. Packen wir’s an, denn die Zeit läuft!

Wie könnte es also in der Zukunft anders sein?

Weiterdenken für nachhaltige Zukunftsgestaltung

Wenn wir in der unternehmerischen Kostenrechnung auch die sozialen und ökologischen Kosten sowie Nutzen berücksichtigen wollen:

Welche Risikokalkulationen, Bilanzierungsweisen und Definitionen von Betriebsergebnis sind dabei hilfreich und wie können Strategien aussehen, ein „True Cost Accounting“ möglichst zügig umzusetzen?

Wenn nachhaltige Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle gleiche Chancen in den Märkten bekommen sollen:

Welche sektoralen oder regionalen Bündnisse zwischen Unternehmen sind dafür besonders geeignet und für welche Änderungen an den politischen Marktbedingungen sollten diese sich als erstes einsetzen?

Wenn öffentliche Bekundungen zur Nachhaltigkeitsorientierung aus der Wirtschaft möglichst schnell durch bessere politische Rahmenbedingungen unterstützt werden sollen:

Welche Transparenzstandards braucht es in der Formulierung neuer politischer Maßnahmen und wird ein Konzept von „Corporate Political Responsibility“ notwendig, das Lobbyaktivitäten in die Berichtspflicht aufnimmt?

Diese und weitere Fragen wollen wir im Rahmen eines öffentlichen Symposiums am 31. August weiter diskutieren. Wenn Sie teilnehmen möchten oder Anregungen haben, senden Sie uns bitte eine E-Mail redefiningthepossible@thenew.institute